Identifikation
Laut Wikipedia bedeutet Identifikation „gleichsetzen“. Wenn ich mich
mit einem Fußballverein stark identifiziere, dann fühle ich wie die
Mannschaft und teile Freud und Leid mit ihr. Zu Ausschreitungen kann es
dann kommen, wenn ich mich so stark mit der Mannschaft identifiziere,
dass ich nicht mehr unterscheiden kann, dass ich ICH bin und nicht die
Mannschaft.
Wir identifizieren uns täglich mit vielen Rollen. Als Mutter, Vater,
Arzt, Manager, Verkäufer, Lehrerin, Schüler, Ehefrau, Ehemann, Liebhaber
…
Mit einer einigermaßen gesunden Psyche, können wir fast beliebige
Rollen einnehmen und auch wieder verlassen und neue Rollen
einnehmen.
Kritisch wird es, wenn wir uns mit Rollen identifizieren, die wir
nicht mehr verlassen können, da unser Selbstbewusstsein stark damit
verknüpft ist. Der Film „Pappa ante portas“ zeigt auf komödiantische
Weise, welche Auswirkungen eine starke berufliche Identifikation im
privaten Leben haben kann. Der Protagonist Heinrich Lohse kann sich aus
seiner Rolle als Einkaufsdirektor nicht mehr lösen und handelt daheim
ähnlich wie in seinem Beruf. Sein Selbstbewusstsein war daran geknüpft,
dass er Einkaufsdirektor war. Er kann diese Rolle nicht loslassen, da er
sonst in eine große Leere stürzen würde.
Sehr subtile Identifikationen ergeben sich aus unseren Erlebnissen in
der Kindheit. Das beginnt schon im Mutterleib, ob wir ein Kind der Liebe
waren oder ob sich der Vater aus dem Staub gemacht hat und die Mutter
steht ganz alleine da und kämpft ums Überleben. Weiter geht es dann
damit, ob uns die Mutter viel Nähe und Liebe geben konnte und auf unsere
Bedürfnisse eingehen konnte, oder ob sie selbst völlig bedürftig und
ausgelaugt war.
Wie wir uns aufgrund unserer Kindheitserlebnisse unbewusst
identifizieren, zeigt eine Tabelle aus dem Buch „Etwicklungstrauma
heilen“ von Laurence Heller:
Überlebensstrategie |
Auf Scham basierende Identifizierungen |
Auf Stolz basierende Gegenidentifizierungen |
Kontakt |
Scham, überhaupt zu existieren
Sich wie eine Last vorkommen
Das Gefühl, nirgendwo dazuzugehören |
Stolz darauf, ein Einzelgänger zu sein
Stolz darauf, niemanden zu brauchen
Stolz darauf, nicht emotional zu sein |
Einstimmung |
Bedürftig
Unerfüllt
Leer
Unwürdig |
Umsorgen anderer
Stolz darauf, die starke Schulter zu sein, an der sich alle
ausweinen
Sich unentbehrlich machen und dafür sorgen, gebraucht zu
werden
Stolz darauf, keine Bedürfnisse zu haben |
Vertrauen |
Klein
Ohnmächtig
Benutzt
Verraten |
Stark sein und das Sagen haben
Erfolgreich
Überlebensgroß
Selbst der, der andere benutzt und verrät |
Autonomie |
Wütend
Abneigung gegen Autorität
Rebellisch
Freude daran, andere zu enttäuschen |
Nett
Liebenswürdig
Gehorsam
Lieber Junge/Braves Mädchen
Angst davor, andere zu enttäuschen |
Liebe-Sexualität |
Verletzt
Abgelehnt
Körperlich mit Makeln behaftet
Ungeliebt und nicht liebenswert |
Weist lieber andere zurück, um ihnen zuvorzukommen, dasselbe zu
tun
Makellos
Gestattet keine Fehler
Inbegriff von Perfektion |
0.5 Auf Scham basierende Identifizierungen und auf Stolz
basierende Gegenidentifizierungen der jeweiligen
Überlebensstruktur |
Wie komme ich nun aus den belastenden Identifizierungen heraus?
Immer dann, wenn ich mit anderen Menschen und mit mir in Kontakt
gehe, können sich die belastenden Identifikationen zeigen. Das zeigt
sich, wenn ich z.B. das Wochenende ganz alleine ohne Freunde verbringe
und die Einsamkeit überwältigt mich. Oder in Beziehung mit meinen Eltern
oder Partner/Partnerin kommt es zu Konflikten. Oder der Beruf überlastet
mich sehr und ich habe schon Angst was am nächsten Tag alles passiert.
Oder ich erlebe Enttäuschungen im Kontakt mit anderen Menschen. Wir
kennen alle diese Erlebnisse und wahrscheinlich noch viele mehr.
Das tägliche Leben spiegelt uns und macht uns auf unsere ungesunden
Identifizierungen aufmerksam. Da sich Vieles unbewusst abspielt können
wir unsere eigenen Identifizierungen oft nicht erkennen. Wenn wir dann
in eine große seelische oder auch körperliche Not geraten, holen wir uns
Hilfe und können sie „entschärfen“ oder auch ganz auflösen. Eine große
Hilfe sind Menschen, mit denen ich mein Problem reflektieren kann und
die eine neutrale Position einnehmen können.
Nun ist es ja so wie oben schon erwähnt, dass wir unser Leben positiv
gestalten wollen. Dazu brauchen wir unsere Fähigkeit, uns mit gewissen
Rollen zu identifizieren. Es scheint so zu sein, umso stärker wir uns
mit einer Rolle identifizieren, umso erfolgreicher können wir dieser
Rolle ausfüllen. Wenn wir uns z.B. mit einem Verein sehr stark
identifizieren, dann kennt unser Engagement oft keine Grenzen und wir
bringen den Verein in seinen Zielen zum Erfolg. Oder unser Beruf macht
uns große Freude und wir identifizieren uns sehr damit und sind dabei
sehr erfolgreich. Besonders für Selbständige ist die Identifikation mit
ihrer eigenen Firma überlebensnotwendig um sie erfolgreich zu
führen.
Jetzt kann es aber auch vorkommen, dass wir uns sehr stark mit
unseren Zielen identifizieren und engagieren, aber der Erfolg bleibt
aus. Da gibt es einen Gegenspieler: Das sind unsere unbewussten
Identifizierungen aus der Kindheitsprägung, wo wir mit dem Mangel
identifiziert sind. Wenn ich z.B. immer an Geldmangel leide und trotz
fleißiger Arbeit gelingt es mir nicht für eine materielle Sicherheit
ausreichend zu sorgen, dann kann es sein, dass ich mich unbewusst so
fühle, dass ich keine Daseinsberechtigung habe; eine Prägung aus der
Kindheit (Geldmangel kann auch viele andere Ursachen haben).
Zusammenfassend kann man sagen:
·
Identifizierungen sind wichtig für unser Leben.
·
Aber genau so wichtig ist es, dass wir von
Identifizierungen wieder loslassen können.
·
Alte Mangelidentifizierungen aus unserer Kindheitsprägung
machen uns das Leben schwer.
·
Umso stärker wir uns mit etwas identifizieren können, umso
erfolgreicher können wir sein.
·
Alte Mangelidentifizierungen treten oft als unbewusste
Gegenspieler auf und können unseren Erfolg behindern.